Bochumer Appell

Deutschland muss sich seiner kolonialen Verantwortung stellen

In dieses Jahr fällt der hundertste Jahrestag des Herero- und des Nama-Aufstandes gegen die deutsche Kolonialherrschaft in Namibia. Diese schwersten Herausforderungen gegen die Kolonialmacht im damaligen Deutsch-Südwestafrika wurden von der deutschen „Schutztruppe“ mit einer Völkermordstrategie unterdrückt, deren Folgen bis heute nicht überwunden sind. Herero wurden systematisch in die wasserlose Omaheke-Steppe getrieben, später Überlebende ebenso wie gefangene Nama in Konzentrationslagern der Vernichtung durch Arbeit und Vernachlässigung ausgesetzt. Nach Schätzungen sind 80 Prozent der Herero und 50 Prozent der Nama dieser brutalen Unterdrückungspraxis zum Opfer gefallen. Die völlige Enteignung derer, die noch lebten, machte sie für das verbleibende Jahrzehnt deutscher Kolonialherrschaft zu einer strikt überwachten Bevölkerung faktischer Zwangsarbeiter. Auf diese Weise wurde das heutige Zentral- und Südnamibia mit einem Schlag für die Besiedlung durch Weiße ­ zunächst vorwiegend Deutsche, später meist Südafrikaner ­ freigeräumt. Die Landenteignung fast aller Afrikaner in diesem Gebiet hat auch im unabhängigen Namibia dramatische Folgen in der extrem ungleichen Landverteilung, die symbolisch für äußerste Ungleichheit in praktisch allen Lebensbereichen steht.

Über den Verbrechen im heutigen Namibia darf nicht vergessen werden, dass dies nicht der einzige koloniale Völkermord war, der im deutschen Namen begangen wurde. So bekämpften im Südosten des heutigen Tanzania deutsche Kolonialtruppen den 1905 begonnenen Maji-Maji-Aufstand mit einer Strategie der „verbrannten Erde“. Ihr fielen bis zu 300.000 Menschen zum Opfer. Dies bedeutete die Entvölkerung einer Region, die heute das größte Wildreservat Afrikas bildet.

Als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches kann und darf sich die Bundesrepublik Deutschland ihrer Verantwortung für diese und andere koloniale Verbrechen nicht länger entziehen. Die Hundertjahrtage, die in dieses und die kommenden Jahre fallen, sind eine ernste Mahnung, wie überfällig hier Schuldeingeständnisse auch mit daraus folgenden materiellen Verpflichtungen sind. Wir fordern die Bundesregierung nachdrücklich auf, dieser Verantwortung endlich zu genügen.