"Wir können aufeinander nicht verzichten"

Linke Christen und Marxisten haben eines gemeinsam: Sie wollen eine bessere Welt - nur wie? Ein Gespräch mit Dick Boer

Interview Peter Wolter

Der Niederländer Dick Boer gehört der evangelisch-reformierten Kirche an. Er ist Professor für Systematische Theologie; von 1984-1990 war er Pfarrer der Niederländischen Ökumenischen Gemeinde in der DDR. Boer ist auch Mitarbeiter des Historisch-Kritischen Wörterbuchs des Marxismus.

Sie waren lange Jahre Pfarrer der Niederländischen Gemeinde in der DDR - welche Erfahrungen haben Sie in dieser Zeit mit der Zusammenarbeit von Christen und Marxisten gemacht?

Sehr unterschiedliche. Als Pfarrer hatte ich natürlich häufig mit dem Büro des Staatssekretärs für Kirchenfragen und mit anderen Funktionären zu tun. Beiden Seiten ging es ja nicht um einen Streit über das Reich Gottes, sondern um praktische Lösungen. Meine Gesprächspartner waren freundlich, allerdings mitunter mit einem etwas reduzierten Leninismus ausgestattet.

Waren sie eher pragmatisch?

Auch das, dagegen ist ja nichts zu sagen - aber mit "Pragmatismus" wäre das Verhältnis unvollkommen beschrieben. Ich hatte z.B. die Möglichkeit, in der DDR zwei Seminare zu organisieren, in denen niederländische Referenten mit DDR-Marxisten zusammentrafen. Daraus entstand ein interessanter Dialog über die Motivation von Christen allgemein und vor allem darüber, was speziell linke Christen bewegt. Ich selbst war zu dieser Zeit ja auch Mitglieder der Kommunistischen Partei der Niederlande.

In einer dieser Diskussionen stellte ein DDR-Referent die marxistische These in Frage, dass in einer kommunistischen Gesellschaft die Religion abstirbt. Er wandte ein, das gelte vielleicht für Europa oder den Westen, nicht aber für die gesamte Welt. Damit hat er meiner Meinung nach recht, überhaupt finde ich, dass die marxistische Religionskritik neu überdacht werden muß.

Abgesehen von Ihren persönlichen Erfahrungen - wie würden Sie das Verhältnis der DDR zu den Kirchen insgesamt beschreiben? Partnerschaftlich oder autoritär?

Tendenziell partnerschaftlich, würde ich sagen. Die DDR hatte ja immer darauf gesetzt, dass sich die Kirchen zumindest loyal für den Sozialismus einsetzen. Also nicht Kirche für, sondern im Sozialismus. Allerdings hatten die Kirchen nicht die Freiheit, selber dissident zu werden oder sich offen und eindeutig für Dissidenten einzusetzen.

Was mir ein bißchen Sorgen bereitet hat, war das Niveau der ideologischen Auseinandersetzung - ich glaube, Staat und Partei haben sich nicht mehr so richtig getraut. Interessant ist, dass die DDR früher stark auf Thomas Münzer, die führende Persönlichkeit der Bauernkriege, gesetzt hat. Er vertrat eine widerständige, eine Art Befreiungstheologie. Gegen Ende der DDR rückte immer stärker Martin Luther in den Vordergrund, der für ein Bündnis mit den Fürsten eingetreten war. Moderner ausgedrückt: für ein Bündnis der Kirche mit dem Staat. Oder meinetwegen auch: mit den sozialistischen Fürsten.

Das klingt fast so, als seien Sie enttäuscht, dass die DDR sich nicht offensiver mit der Kirche auseinandergesetzt hat.

Ich fand es jedenfalls schade, dass nicht zumindest die Probleme im Verhältnis zueinander thematisiert wurden. Natürlich gab es das partnerschaftliche Verhältnis, das Nebeneinander - es gab aber auch eine ziemlich traditionelle Religionskritik. Wenn ich in der DDR damals in politischer Verantwortung gewesen wäre, hätte ich womöglich auch nicht anders handeln können, aber die Prolembe hätten doch zumindest als solche benannt werden sollen!

In Münster haben jetzt Christen und Marxisten gemeinsam debattiert. Wie beurteilen Sie das Diskussionsniveau?

Es gab mitunter aus dem Publikum Kritik, es sei "zitatologisch" und hoch akademisch. Auf deutsch: Nix verstanden. Damit haben die Kritiker zum Teil recht - Verständlichkeit und hohes theoretisches Niveau müssen sich ja nicht ausschließen. Auch weil ich selbst Marxist bin, fiel mir übrigens auf, dass die atheistischen Referenten auf ein etwas reduziertes Zitatenmaterial zurückgreifen.

Kann man sagen, dass diese Diskussion zu einem besseren Verständnis zwischen linken Christen und Marxisten beigetragen hat?

Dialektische Antwort: Ja und nein.

Ja, weil beide Seiten wissen, dass man auf einander nicht verzichten kann. Wir können es uns also nicht leisten, uns auseinanderdividieren zu lassen - schließlich sind beide Partner im heutigen Europa verschwindend kleine Minderheiten.

Nein, weil die marxistischen Referenten dazu neigen, an dem alten Muster der Theorie der Aufklärung festzuhalten. Beispielhaft dafür war die Forderung eines Redners, wir Marxisten dürften nicht überheblich sein. Übersetzt heißt das: Wir wissen es zwar besser - das dürfen wir aber nicht von oben herab gegen unsere Gesprächpartner ausspielen. Marxismus ist aber nicht nur radikale Kritik, sondern auch radikale Selbstkritik.

Mitunter heißt es ja: Was habt ihr linken Christen denn schon erreicht? Gegenfrage: Was haben wir Marxisten denn erreicht? Beide haben wir mit dem Niedergang des Sozialismus in Europa eine gewaltige Niederlage erlitten. Und wir haben beide keine Lösung dafür, wie wir das Blatt wenden können.

Ein kurzer Blick über die Grenzen. Gibt es ein ähnliches Aufeinanderzugehen von Christen und Marxisten auch in anderen europäischen Ländern?

Da habe ich nur einen beschränkten Überblick. In den Niederlanden z.B. gibt es den Marxismus so gut wie gar nicht mehr. In der Schweiz und Belgien geht man ähnlich wie in Deutschland aufeinander zu - wobei die linken Christen nicht ganz zufrieden mit dem sind, was die Marxisten zum Thema Religion sagen.