Deutschland dicke da

Profiteur der Globalisierung, Exportchampion, Lohndrücker: Das BRD-Kapital hat 2007 die Konkurrenz niedergemacht. Millionen Bürger jedoch hatten nichts davon

Von Klaus Fischer

In diesem Jahr wird die deutsche Wirtschaft voraussichtlich Waren im Wert von etwa einer Billion Dollar ans Ausland geliefert haben. Damit zählt das Land unangefochten zu den wenigen globalen Werkstätten der ersten Kategorie, die den Rest der Welt mit allem ausrüsten, was benötigt wird – vom Kraftwerk über Fahrzeuge bis zur Medizintechnik. Vor allem aber punktete Made in Germany mit seinem Maschinenbau und den Umwelttechnologien. Nur noch wenige Nationen können im spätkapitalistischen Zeitalter den Titel eines echten Industriestaats für sich reklamieren. Die BRD zählt neben China, Japan und mit Abstrichen den USA, Frankreich und Südkorea zur Spitzengruppe. Und innerhalb der EU nimmt die deutsche Wirtschaft eine derart dominante Stellung ein, daß in den anderen Staaten inzwischen mehr als Unbehagen aufgekommen ist. Ganz zu schweigen von der großen Zahl armer Entwicklungsländer, für die »fairer Handel« mit Deutschland und der EU allenfalls heißt, daß sie weiterhin klaglos die Konzernprodukte aus Europa konsumieren dürfen. Damit setzte sich eine Entwicklung fort, die seit der Jahrtausendwende auffällig ist.

Lohndumping

Es sind nicht allein Innovationsfähigkeit, hohe Qualität der Fertigung und flexibles Reagieren auf den Bedarf, die Deutschlands Wirtschaft so glänzend dastehen lassen. Im Wettbewerb mit den europäischen Konkurrenten, und besonders mit denen, die in der selben Währung abrechnen müssen, hat die BRD durch konsequentes Lohndumping die anderen »niederkonkurriert«. So jedenfalls schätzt das der Wirtschaftswissenschaftler Heiner Flassbeck ein, Direktor bei der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) in Genf. Während in Deutschland die Reallöhne der Beschäftigten in den zurückliegenden Jahren sanken, stiegen sie nach Flassbecks Berechnungen in den meisten der Konkurrenznationen. Der »Fluch des starken Euro« führte für Letztere zu enormen Druck auf Arbeitsplätze, Staatsbudgets und den sozialen Frieden, manifestiert sich in Deutschland hingegen als notorische Schwäche des Binnenmarktes. In kaum einem anderen hochentwickelten kapitalistischen Staat trägt der private Konsum so wenig zur Gesamtwirtschaftsleistung bei wie in der BRD.

Die Abhängigkeit vom Außenhandel ist dabei nicht nur der Rohstoffarmut geschuldet. Auch in der globalen Dienstleistungsindustrie, die sich neben Logistik und Engeneering im Wesentlichen auf das Verkaufen bunter Hollywood-Bilder sowie den Vertrieb »innovativer Finanzprodukte« nach Art der Subprime-Papers vom US-Immobilienmarkt konzentriert, spielen deutsche Firmen bzw. Banken nicht die erste Geige. Dennoch halten viele Ökonomen die starke Konzentration Deutschlands auf die Exportwirtschaft für heikel. Nicht nur, daß es die Unternehmen zum Lohndumping zwingt – das nicht in absoluten Zahlen, sondern in bezug auf die Lohnstückkosten gesehen werden muß. Vor allem bedrohen die Unsicherheiten des Weltwährungssystems, sprich des US-Dollar, die BRD-Konjunktur.

Die USA haben als größter Konsument der Welt ihre Defizite bislang stets erfolgreich durch das Anwerfen der Notenpresse abbauen können. Das gilt im Prinzip auch heute. Nach Ausbruch der Finanzkrise um die Immobilienmärkte reagierte Washington bisher jedenfalls auf die übliche Art: Der Dollar wurde billiger. Das US-Defizit verringerte sich, die Exportwirtschaft lebte auf, und Importe in die Vereinigten Staaten aus dem Nicht-Dollarraum verteuerten sich folgerichtig. Während China wie viele andere Schwellenländer sein »Volksgeld« an den Greenback gekoppelt hat, müssen Produzenten aus Europa entweder die Preise ihrer Produkte für den Dollarraum erhöhen – was sich kaum einer traut, weil die US-Marktanteile nicht gefährdet werden sollen. Oder man verkauft seine Güter mit Verlust nach Übersee. Bestes Beispiel für diese Abhängigkeit vom Dollar-Weltreich ist der Flugzeugbauer Airbus. Neben groben eigenen Managementfehlern trieb der Dollarverfall dessen Mutterkonzern EADS inzwischen in die Existenzkrise, die nicht zuletzt die Belegschaften ausbaden müssen.

Eigentumsfrage

Die Beschäftigten sind in der BRD auch in diesem Jahr mehr Dispositionsmasse des Kapitals, als eigenständiges Subjekt im Verteilungskampf gewesen. Noch immer wird der Begriff »Arbeitgeber« kaum hinterfragt, jenes Wort, das wie »Wohltäter« klingt. Die Eigentumsfrage stellte sich 2007 allenfalls innerhalb des Kapitals und – welch revolutionäre Ironie – im Gerangel zwischen Spitzenmanagern und Besitzern. Es ist absurd, aber Realität, daß der kleine Porsche-Konzern dabei ist, Volkswagen zu schlucken. Den wohl geringsten Anteil an dieser Entwicklung haben Porsches Eigentümer, die sich lieber untereinander zoffen, oder wie Patriarch Ferdinand Piëch mit Rückzugsgefechten im Rahmen der VW-Affäre beschäftigt sind. Da scheint es folgerichtig, daß Spitzenmanager Wendelin Wiedeking mit gut 60 Millionen Euro 2007 zum bestbezahlten Angestellten Deutschlands avancierte. Wenn nun SPD-Politiker daran tüfteln, »überhöhte« Managementgehälter extra zu besteuern, arbeiten sie letztlich im falschen Bergwerk. Das Problem sind nicht überhöhte Vorstandsbezüge – die hat sich das Topmanagement im Klassenkampf mit den Eigentümern erstritten – sondern das Privateigentum an den entscheidenden Produktionsmitteln.

Die Daseinsvorsorge der Menschen ist auch 2007 weiter privatisiert und individualisiert worden. Hartz IV und ALG II alimentieren Millionen auf einem erbämlichen Niveau. Gesundheit wird für die ärmeren Schichten allmählich unerschwinglich. Inzwischen kann man in einem der reichsten Länder der Welt den sozialen Status mancher Menschen wieder am Gebiß ablesen. Arme sterben früher, Reiche sind glücklicher – all das sind keine linken Parolen, sondern gemessene und geprüfte Tatsachen dieses Jahres. Stromkonzerne, Treibstoffmultis oder Wohnungseigentümer nutzen ihre Macht über das Leben der Menschen zu Preiserhöhungen nach Gusto. Und der Staat stand denen in diesem Jahr nicht nach und schraubte die Mehrwertsteuer auf 19 Prozent – was die Geringverdiener viel stärker belastete als Wohlhabende.

Immerhin ein Lichtblick war da: Die kleine Lokführergewerkschaft GDL trotzte dem Mainstream aus Lohndruck und der »Wir sitzen alle in einem Boot«-Mentalität. Angefeindet, statt solidarisch unterstützt von den großen Gewerkschaften, fordert die GDL mehr Geld. Und sie will aus der »sozialpartnerschaftlichen« Verquickung mit dem Bahnvorstand ausscheren, in der die anderen Bahngewerkschaften Transnet und GDBA sie bisher gehalten haben.

Aus: Junge Welt vom 29.12.07