Radikale Wende

El Salvadors Staatspräsident Funes kündigt Revolution in der Gesellschafts-, Wirtschafts- und Sozialpolitik an

Von André Scheer

Nach Jahrzehnten rechter und rechtsextremer Regierungen gehört El Salvador nun zu den Ländern Lateinamerikas, in denen fortschrittliche Regierungen im Amt sind. Am Montag wurde Mauricio Funes von der Nationalen Befreiungsfront Farabundo Martí (FMLN) offiziell in sein Amt als neuer Präsident des mittelamerikanischen Landes eingeführt.

»Das salvadorianische Volk hat einen Wechsel gefordert, und der Wechsel beginnt jetzt«, sagte Funes in seiner Ansprache, nachdem er die Präsidentenschärpe aus den Händen seines Amtsvorgängers Antonio Saca entgegengenommen hatte. »Das salvadorianische Volk mußte einen langen Weg zurücklegen, um diesen Tag zu erreichen. Keine Anstrengung und kein Opfer waren umsonst«, erinnerte Funes an Jahrzehnte des Kampfes der FMLN, die sich in den 80er Jahren auch mit der Waffe in der Hand gegen das Regime und seine Todesschwadronen erhoben hatte. Symbolträchtig hatte Funes vor der Zeremonie auch das Grab des 1980 von solchen Gruppen ermordeten Erzbischofs Óscar Arnulfo Romero besucht und diesen als »geistigen Führer« einer neuen Politik und eines neuen Regierungsstils gewürdigt.

Der neue Präsident räumte ein, daß er die Geschäfte inmitten einer schweren Krise übernehmen muß und kritisierte die Vorgängerregierungen scharf. Es sei ihnen nicht gelungen, die Wirtschaft des Landes »produktiver und weniger abhängig« von den USA zu machen, deren Währung auch die Geschäfte in El Salvador bestimmte. »Die Verantwortung für diese Situation trägt nicht das salvadorianische Volk, sondern die führende Elite, die bis heute an der Macht war«, so Funes. Neben einem gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und institutionellen Wiederaufbau des Landes kündigte er einen Wiederaufbau »der Moral und der Werte« an. »Das bedeutet konkret, eine friedliche und demokratische Revolution durchzuführen, die ein Modell etabliert, in dem das Soziale bestimmt, wie die Wirtschaft organisiert wird.«

Zu den Sofortmaßnahmen, mit denen Funes den Folgen der Krise begegnen will, gehören die Schaffung von 100000 Arbeitsplätzen in den kommenden 18 Monaten durch den Ausbau und die Verbesserung der öffentlichen Dienste und der Infrastruktur. 25000 Häuser in den Städten und 20000 Hütten auf dem Land sollen renoviert oder neu errichtet werden. Weitere Maßnahmen sollen unmittelbar den ärmsten Bezirken des Landes zugute kommen, die von den bisherigen Regierungen vernachlässigt wurden.

»Wir sind uns bewußt, daß das Schicksal El Salvador unauflöslich mit dem unserer mittel- und südamerikanischen Geschwister verbunden ist. Deshalb werden wir entschiedene Befürworter der regionalen und lateinamerikanischen Einheit sein. Entsprechend dieser Vision wird die fortschrittliche und pluralistische Regierung, der ich vorstehe, diplomatische, kulturelle und Handelsbeziehungen mit allen Ländern Lateinamerikas haben. Das bedeutet, daß sofort die diplomatischen, kommerziellen und kulturellen Verbindungen mit Kuba wiederhergestellt werden«, kündigte der Präsident an. Die Insel wurde bei seiner Amtseinführung durch den kubanischen Vizepräsidenten Esteban Lazo vertreten, der noch während seines Aufenthalts mit der neuen Regierung die notwendigen Abkommen unterzeichnen sollte. El Salvador hatte die Beziehungen mit Kuba 1961 abgebrochen und war bis Montag das letzte Land Lateinamerikas, das keine diplomatische Vertretung auf der Insel unterhielt.

Für Spekulationen sorgte hingegen, daß bei der offiziellen Zeremonie zur Amtseinführung entgegen früherer Ankündigungen sowohl die Präsidenten von Venezuela und Bolivien, Hugo Chávez und Evo Morales, als auch Nicaraguas Staatschef Daniel Ortega fehlten. Ortega, dessen Sandinistische Befreiungsfront FSLN historisch enge Beziehungen zur FMLN pflegt, traf jedoch nach Abschluß der Zeremonie in San Salvador ein und nahm an einer Großkundgebung der FMLN zum Amtsantritt Funes’ teil. Vor rund 60000 Menschen, die mit roten Fahnen den Beginn einer neuen Epoche feierten, erklärte Ortega, daß Chávez und Morales ­ die ursprünglich gemeinsam aus Venezuela nach El Salvador reisen wollten ­ nur aus Sicherheitsgründen abwesend seien. Er selbst habe aufgrund der geringen Entfernung zwischen Managua und San Salvador die Sicherheits­aspekte so koordinieren können, daß es kurzfristig doch möglich wurde, zumindest zu der Großkundgebung anzureisen. Während Ortega keine weiteren Details nennen wollte, sagte Venezuelas Außenminister Nicolás Maduro, der Chávez in San Salvador vertrat, gegenüber dem staatlichen venezolanischen Fernsehen VTV, den Sicherheitsorganen hätten Informationen über ein geplantes Attentat auf Chávez und Morales vorgelegen und die Behörden die Situation als »hoch riskant« eingestuft. Der Minister nannte als einen möglicherweise in den geplanten Anschlag verwickelten Verdächtigen den Chávez-Gegner Alejandro Peña Esclusa, der während des Wahlkampfes in El Salvador für eine ungezügelte antikommunistische Angstkampagne gegen Mauricio Funes und die FMLN verantwortlich war. Weiter nannte Maduro den in den USA untergetauchten Luis Posada Carriles, dessen Auslieferung die venezolanische Justiz seit Jahren betreibt.