Das globale Huhn

Haben Sie sich schon einmal gefragt, als sie vor der Tiefkühltruhe Ihres Supermarktes standen und die verpackten Schalen mit Hühnerkeulen und Hähnchenbrustfilets sehen, wo eigentlich der Rest des Tieres geblieben ist?

"Meine Geflügelzucht war sehr erfolgreich, als ich sie 1995 begann", erzählt Vekwusi Margaret Nkume, eine Hühnerhalterin aus Kamerun. "Ich musste 70.000 CFA (106 Euro) investieren, um in zwei Monaten 100 Hühner zu züchten und konnte sie dann für 150.000 CFA (230 Euro) verkaufen, was damals ein gutes Geschäft für mich war. Das hat mich ermutigt meine Produktion auszuweiten und dafür einen Kredit aufzunehmen. Die Afrikanische Entwicklungsbank vergibt Mikrokredite an kleine Gewerbetreibende wie mich. Dazu müssen wir Frauen uns in Gruppen zusammentun und 20% ansparen, den Rest erhalten wir von der Bank. Das war im Jahr 2000. Im gleichen Jahr begannen die importierten gefrorenen Hähnchenteile die Marktstände zu füllen. 2002 habe ich einen weiteren Kredit aufgenommen um bei niedrigeren Preisen über einen größeren Umsatz meinen Ertrag zu halten. Doch es gab immer mehr gefrorene Hähnchen auf dem Markt zu immer niedrigeren Preisen. Meine Kunden haben immer öfter dieses Fleisch gekauft und ich bin auf meinen Hähnchen sitzen geblieben. Ich habe alles verloren."

Bis 1996 hatte sich Kamerun selbst mit Geflügel versorgt. Die Mehrheit der Kameruner versorgte sich entweder mit Hähnchen und Eiern aus eigener Haltung oder auf den lokalen Märkten. Die Importe von Geflügelfleisch begannen, nachdem Kamerun - zusammen mit den zentralafrikanischen Staaten der Wirtschafts- und Währungsunion CEMAC - Mitglied der gerade gegründeten Welthandelsorganisation WTO wurde. Dabei hatten sich Kamerun und seine Nachbarn mit dem Internationalen Währungsfond IWF und der Weltbank darauf geeinigt, den gemeinsamen Einfuhrzoll für Fleisch auf 20% festzusetzen. Vor diesem Abkommen lag der Einfuhrzoll bei 80%. Außerdem hatte die Regierung Kameruns durch weitere Schutzmaßnahmen - wie eine mengenbeschränkende Importquote - für eine Steigerung der inländischen Produktion und für stabile Preise gesorgt.

Mit den ersten Importen 1996 begannen die Probleme. Die Importeure beziehen das Fleisch überwiegend aus europäischen Schlachthäusern. Es sind vornehmlich die billigen Teile, die in Europa keinen ausreichenden Absatz finden und die beim Schlachten als "Nebenprodukte" anfallen, überwiegend so genannte "Hähnchenviertel", bestehend aus Schlegel mit hohem Rückenanteil und Hähnchenflügel. Aber auch Suppenhühner und bei uns nicht mehr konsumierte Hälse, Sterze und Innereien werden von Zwischenhändlern aufgekauft, cargo-gerecht verpackt und nach West- und Zentralafrika verschifft.

In den ersten Jahren der Importsteigerung glaubten viele noch an eine vorübergehende Erscheinung. "Die Europäer werden schon wieder ihr eigenes Fleisch essen", glaubte man noch 2000. Spätestens Anfang 2002 wurde aber allen Beteiligten klar, dass die Importe von Dauer sein werden. 2004 war bereits 80% des Inlandmarktes in den Händen der Importeure.

Der Verdrängungswettbewerb hängt vor allem mit dem Preis zusammen, zu dem die Hähnchenteile aus Europa in Afrika verkauft werden. Durchschnittlich zahlen die afrikanischen Importeure 0,60 Euro pro Kilogramm. Ganz legal verzollt und versteuert kostet das Kilo "Gefrierhähnchen" auf dem Markt in Douala 1,20 Euro. Mit diesem Preis können die lokalen Geflügelproduzenten nicht mithalten. Auch die wenigen Großmästereien sind nicht konkurrenzfähig. Es ist unmöglich Hühnerfleisch in Kamerun für weniger als 2 Euro das Kilo zu erzeugen. So konkurrieren die billigen Hühnerfleischteile mit dem teuren Inlandshuhn und verdrängen es.

ADIC, eine Partnerorganisation des Evangelischen Entwicklungsdienstes EED spricht einer Studie von 2005 von einer "nationalen ökonomischen und sozialen Katastrophe". Allein die Verluste an Devisen durch den Import der Hühnerteile betragen 16 Mio. Euro pro Jahr. Dem Staat entgehen zusätzlich 10,5 Mio. an Steuereinnahmen. Auch die Zulieferbetriebe der Hähnchenmäster sind ökonomisch betroffen, allen voran die Mais- und Sojabauern, die zum einen großen Teil ihres Absatzmarktes verloren haben und zum anderen den Hühnerkot als eine wichtige natürliche und billige Stickstoffquelle zur Düngung. Der früher verwandte Mist der Geflügelställe muss nun durch teuer zugekauften synthetischen Dünger ersetzt werden. Auch die Korbmacher, die bis dahin die Transportkörbe für die lebend transportierten Hühner geflochten hatten, sind in ihrer Existenz bedroht. Ebenso die Tierärzte und die Leute, die auf den Märkten das Schlachten, Rupfen und Ausnehmen der Hühner besorgten, sowie die einheimischen Transporteure und Zwischenhändler der Binnenmarkthühner.

Laut Berechnung von ADIC verschwinden mit jeder importierten Tonne Hähnchenfleisch 5 Arbeitsplätze in Kamerun. Bei einer Importmenge von 22.000 Tonnen im Jahr 2003 bedeutete das, dass bis 2003 111.000 Arbeitsplätze allein in Kamerun zerstört wurden. Da jeder Arbeitsplatz in Afrika bis zu 8 Menschen ernährt, wird die Tatsache nachvollziehbar, warum die Menschen in Afrika trotz aller Entwicklungshilfe und aller Projekte von Nichtregierungsorganisationen immer ärmer statt reicher werden.

Was kann ich als europäische KonsumentIn tun?

Die Informationen stammen aus dem Buch "Das globale Huhn", von Francisco Mari und Rudolf Buntzel, erschienen im Verlag Brandes & Apsel 2007, ISBN 978-3-86099-852-6.

Ingrid Schellhammer