"Über unsere Verhältnisse gelebt"

Von Jörn Boewe

Bundespräsident Horst Köhler hat die Bürger auf schwierige Zeiten vorbereitet. "Die kommenden Monate werden sehr hart", erklärte das Staatsoberhaupt vor dreihundert handverlesenen Gästen am Dienstag in der vierten sogenannten Berliner Rede. Parteiübergreifend wurde die Rede im Anschluß als inhaltsschwer und bedeutend gelobt. Unter dem Beifall des Publikums warnte Köhler CDU/CSU und SPD, die Krise im Vorfeld der Bundestagswahl als "Kulisse für Schaukämpfe" zu mißbrauchen.

"Wie konnte es zu dieser Krise kommen?" fragte Köhler und lieferte sogleich die Antwort: "Wir haben alle über unsere Verhältnisse gelebt." Ob er damit Investmentbanker genau wie Arbeitslosengeld-II-Empfänger meinte, ließ er offen. Köhler erinnerte daran, daß er vor einem Jahrzehnt als Chef des Internationalen Währungsfonds daran "gescheitert" war, die internationalen Kapitalmärkte zu regulieren. "Die Finanzmärkte waren Wachstumsmaschinen", sagte er. "Sie liefen lange gut. Deshalb haben wir sie in Ruhe gelassen." Nun habe sich gezeigt, daß der Markt die Dinge nicht richten könne. "Es braucht einen starken Staat, der dem Markt Regeln setzt und für ihre Durchsetzung sorgt."

Köhler lobte die Politik der großen Koalition: Zwar habe derzeit niemand "fertige Rezepte", räumte er ein. "Aber wir können darauf vertrauen: Die eingeschlagene Richtung stimmt." Die Bundesregierung habe schnell und entschlossen auf die Finanzkrise reagiert. "Die Banken werden mit Kapital und Garantien versorgt, damit der Geldkreislauf nicht völlig zum Stehen kommt." Allerdings verschenke der Staat das Geld nicht. "Wir fordern Gegenleistungen in Gestalt von Mitsprache, Zinsen und Mitarbeit bei der Krisenbewältigung." "Haften mit gewaltigen Summen" würden schließlich aber "die Steuerzahler", betonte Köhler. In den kommenden Monaten würden die Bürger "geprüft werden", versprach der Präsident. "Wir werden Ohnmacht empfinden und Hilflosigkeit und Zorn."