„… eine Gelegenheit, gemeinsam gegen neoliberale Projekte zu kämpfen und miteinander solidarisch zu sein“

Ein Interview mit Raúl Moreno zum Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und Zentralamerika

Der salvadorianische Ökonom Raúl Moreno war im Juli 2008 auf einer Vortragsreise durch mehrere deutsche Städte. Er informierte über das geplante Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Zentralamerika und schlug die Bildung einer zentralamerikanisch-europäischen Widerstandsbewegung vor. Politisch aktiv ist er u.a. in der globalisierungskritischen Alianza Social Continental. Die ASC ist ein gesamtamerikanisches Netzwerk von NGOs, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen, das sich seit 1997 als Gegenbewegung zu den Freihandelsabkommen in der Region entwickelt hat. Ihr zentrales Anliegen ist es, den Integrationsprozess „von unten“ unter Einbeziehung der verschiedenen sozialen Sektoren zu stärken. Im folgenden Interview erklärt Raúl Moreno, welche Interessen sich hinter dem Assoziierungsabkommen verbergen und macht Vorschläge für eine gemeinsame Arbeit der Widerstandsbewegungen in Zentralamerika und Europa. Das Interview ist gekürzt abgedruckt.

Öku-Büro: Was ist das Assoziierungsabkommen?

Raúl Moreno: Das Assoziierungsabkommen (Acuerdo de Asociación) ist ein politisches Instrument, mit dem die Europäische Union im Wettlauf mit anderen Wirtschaftsblöcken ihre Kontrolle von Märkten und Ressourcen ausbaut. Auf diese Weise wird der Aufbau einer Rechtsordnung vorangetrieben, die es europäischen Unternehmen ermöglichen soll, die natürlichen Ressourcen der Region zu kontrollieren und in den dortigen Dienstleistungssektor einzusteigen.

Formal besteht das Assoziierungsabkommen aus drei Teilen: dem Kooperationsabkommen, dem politischen Dialog und dem Freihandelsabkommen. In der offiziellen Darstellung geht die Europäische Union über ein bilaterales Freihandelsabkommen hinaus, indem die Zusammenarbeit mit der Europäischen Union und die Integration Zentralamerikas gefördert wird – alles unter dem Leitbild der Entwicklung.

Die Wirklichkeit steht im krassen Gegensatz zur offiziellen Darstellung des Assoziierungsabkommens. Denn die wirtschaftlichen Forderungen der Europäischen Union unterscheiden sich in der Praxis nicht von denen der Vereinigten Staaten, wie sie in CAFTA-DR (Central America-Dominican Republic Free Trade Agreement) und anderen Freihandelsverträgen zum Ausdruck kommen. Beide streben die weitere wirtschaftliche Öffnung Lateinamerikas und der Karibik an, eine weitergehende Privatisierung bei den staatlichen Dienstleistungen und Staatsunternehmen, weitere Deregulierung, Schutz für Investitionen und Ausweitung des Schutzes geistigen Eigentums.

Die Teile Kooperation und Politischer Dialog des Assoziierungsabkommens sind schmückendes Beiwerk.[1] Sie sollen dem europäischen Neoliberalismus ein „menschliches Antlitz“ geben und verbergen, dass das entscheidende Element des Assoziierungsabkommens der Freihandelsvertrag ist.

Das oberste Ziel des Assoziierungsabkommens ist, dass die europäischen Unternehmen dieselben Privilegien, die die US-Unternehmen durch CAFTA-DR in Zentralamerika haben, bekommen und diese noch übertreffen.

ÖB: Welche Position nimmt die Alianza Social Continental gegenüber dem Assoziierungsabkommen ein?

RM: In der Alianza Social Continental sind wir der Meinung, dass jegliche Form der „wirtschaftlichen Integration“ zwischen den Nationen der gerechten und nachhaltigen Entwicklung der Bevölkerungen dienen muss. Wir fordern für alle das unabdingbare Recht, über ihre Zukunft entscheiden zu können. Und wir sind nicht bereit, uns der Logik von Angebot und Nachfrage auszuliefern. Genauso wenig akzeptieren wir die Plünderung der Umwelt und unserer Rohstoffe.

Der Fehlschlag der neoliberalen Politik und die negativen Folgen der bereits umgesetzten Freihandelsverträge in der Region stärken unsere kritische Einstellung und Ablehnung gegenüber diesen Herrschaftsinstrumenten. Wir von der ASC bleiben bei dem strikten Widerstand gegen die Ausweitung von Freihandelsverträgen und irgendwelchen anderen Abkommen auf der Grundlage des neoliberalen Modells.

Aber diese Verträge zum Scheitern zu bringen ist für uns nur ein erster Schritt, denn die komplette Strategie besteht darin, Alternativen zum Modell der herrschenden „Integration“ aufzubauen.

ÖB: Welche Erfahrungen habt ihr mit Freihandelsverträgen gemacht? Was sind die möglichen Folgen des Assoziierungsabkommen?

RM: El Salvador hat mindestens fünf Freihandelsverträge unterschrieben, von denen CAFTA-DR, der seit dem 1. März 2006 in Kraft ist, der Wichtigste ist. Heute, mehr als zwei Jahre nach der Einführung, geben seine Auswirkungen einen Ausblick auf die negativen Folgen, die wir auch vom Assoziierungsabkommen erwarten.

Das Assoziierungsabkommen wird die in CAFTA-DR eingeführte Bestimmung aufgreifen, dass Produktion und Vertrieb von Produkten, die nicht im Einklang mit den neuen Schutzbestimmungen für das Geistige Eigentum stehen, strafrechtlich zu verfolgen sind. Zu diesen Produkten gehören generische Medikamente, die patentierte chemische Komponenten enthalten [aber von Firmen hergestellt wurden, die die Patente nicht nutzen dürfen, d.Ü.] In diesem Sinne werden die Gewinne der europäischen Pharmakonzerne über das Recht der Bevölkerung auf Gesundheitsversorgung gesetzt. Die Beschränkung der Generika grenzt den Zugang zu kostengünstigen Medikamenten ein, was sich als deutlicher Nachteil für Personen mit geringem Einkommen niederschlägt.

Auch die 28 öffentlichen Krankenhäuser sind in die Liste der Institutionen aufgenommen, die ihre Ausschreibungen für Waren und Dienstleistungen ausländischen Unternehmen zu identischen Bedingungen wie salvadorianischen Unternehmen öffnen müssen. Unter diesen Bedingungen wird der salvadorianische Staat nicht mehr die Möglichkeit haben, die nationale Produktion mit Anreizen zu fördern. In der Ausschreibung wird es nur noch um den „niedrigsten Preis“ gehen.

Mit CAFTA-DR und dem Assoziierungsabkommen würden die Prinzipien der Ernährungssouveränität verletzt werden. Die Verträge erlauben, dass transnationale Konzerne die Nahrungsmittelproduktion monopolisieren, dass sie mit Patenten und Eigentumsrechten an genetisch verändertem Saatgut Profit machen, dass sie den traditionell angebauten Pflanzen ein Ende bereiten und dass sie der Gesundheit und der Umwelt schaden. Zusätzlich wird ihnen noch das Recht erteilt, Pflanzen und Mikroorganismen unseres Ökosystems zu patentieren.

Die transnationalen Konzerne haben die Möglichkeit, Bauern zu verklagen, die diese „Rechte“ verletzen, und können sie vertraglich zwingen, bei ihnen ihr Saatgut zu kaufen. Hiermit wird unser Recht eingeschränkt, unsere eigenen gesunden und nahrhaften Lebensmittel zu erzeugen, d. h. unser Recht auf Lebensmittel, die nicht genetisch verändert worden sind und mit traditionellen Anbaumethoden, die in unserem kulturellen Erbe verwurzelt sind, erzeugt wurden.

Mit dem Vertragskapitel „Investitionen“ wird die Unterdrückung jeglicher Regulierung im Umgang mit ausländischen Unternehmen besiegelt. Dies geschieht mittels der Klauseln zu den Rechten der Investoren gegenüber dem Staat. Damit bekommen sie die Möglichkeit, gegen Staaten vor internationale Schiedsgerichte zu ziehen, wenn ihre Gewinne oder Gewinnerwartungen durch politische Maßnahmen eingeschränkt sind.

CAFTA-DR und das Assoziierungsabkommen, genauso wie das Allgemeine Dienstleistungsabkommen (GATS), sehen im Wasser nur eine Ware, mit der man Handel treiben kann. Dadurch verliert es seinen Charakter eines öffentlichen Gutes und seine Funktion als wesentliche Ressource, um ein Leben in Würde führen zu können. Das Wasser ist eine strategische Ressource, die des Schutzes durch den Staat bedarf. Gleichwohl passt dies nicht in die Logik des Assoziierungsabkommen, denn jede Maßnahme, die den Gebrauch dieser Ressource als handelbares Gut behindert, kann als indirekte Enteignung interpretiert werden, wodurch die Staaten sich der Gefahr der Strafverfolgung vor internationalen Schiedsgerichten aussetzen.

Das Assoziierungsabkommen wird eine neue Form der Plünderung und Unterwerfung der salvadorianischen Bevölkerung legitimieren. Es stellt sich als Annektionsinstrument dar, das die Staatssouveränität erodiert. Sein Inkrafttreten bedeutet einen Rückschritt gegenüber der geltenden Rechtsordnung.

ÖB: Was denken die Menschen in El Salvador und Zentralamerika über das Assoziierungsabkommen?

RM: Bei der Bevölkerung in El Salvador und Zentralamerika findet man wenig Wissen über das Assoziierungsabkommen. Allerdings ist das Thema „Freihandelsverträge“ Teil des nationalen Diskurses gewesen, vor allem als die Verhandlungen zu CAFTA-DR liefen. Es ist wichtig zu erwähnen, dass man in der offiziellen Propaganda und von Seiten der führenden Unternehmen versucht, das Assoziierungsabkommen und CAFTA-DR zu trennen. Außerdem wird das Assoziierungsabkommen als eine Chance für das Land und die Region dargestellt, da die Verhandlungen ja mit der Europäischen Union stattfinden, die laut Diskurs ein Zusammenschluss demokratischer Staaten ist, die auf die Einhaltung der Menschenrechte achten.

Heute, zwei Jahre nach Einführung von CAFTA-DR, überwiegt in der Bevölkerung die Wahrnehmung, dass CAFTA-DR zu schweren Beeinträchtigungen der Wirtschaft des Landes geführt hat.

Die Übereinstimmung zwischen CAFTA-DR und Assoziierungsabkommen deutlich zu machen und aufzuzeigen, dass letzteres eine erweiterte Version von CAFTA-DR sein wird, das könnte die Bevölkerung aufrütteln und bei ihr eine kritische Reaktion hinsichtlich des Abkommens hervorrufen.

ÖB: Wo sind die Zusammenhänge zwischen den Freihandelsverträgen, den Megainvestitionsprojekten und der Militarisierung der Region?

RM: Die hegemoniale Strategie der Industriemächte verfolgt das Ziel, Kontrolle über die natürlichen Ressourcen Wasser, Biodiversität, Erdöl, Erdgas, Land und Energie zu erlangen. Dies stellen sie über a) die Freihandelsabkommen, b) die Megainvestitonsprojekte und c) die Militarisierung sicher.

a) Die Inhalte der Freihandelsabkommen schaffen einen juristischen Rahmen für die transnationalen Unternehmen, durch den ihnen die Aneignung und Kontrolle der Ressourcen erlaubt wird.

b) Die Megainvestitionsprojekte werden durch internationale Finanzinstitutionen gefördert, durch regionale Banken, durch die US-Organisation Millennium Challenge Corporation. Sie sollen die notwendige ökonomische Infrastruktur schaffen, damit die in der Region tätigen transnationalen Konzerne effizient arbeiten können.

c) Die Militarisierung stellt die repressive Komponente dieser Herrschaftsstrategie dar. In den letzten Jahren wurden Anti-Terror- und Anti-Banden-Gesetze in den Ländern der Region erlassen, mit denen die Repression oppositioneller Kräfte legitimiert wird – unter dem Vorwand, gegen den Terrorismus und das organisierte Verbrechen vorzugehen.

ÖB: Wie sollten Eurer Meinung nach die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zwischen der EU und Zentralamerika sein?

RM: Die Europäische Union muss das Recht auf Selbstbestimmung der Bevölkerung Zentralamerikas anerkennen. Diese muss in der Lage sein, ihre eigene Politik zu bestimmen und allein und unabhängig den Kurs ihrer wirtschaftlichen, sozialen und politischen Entwicklung festzulegen. Das bedeutet, dass die EU ihre hegemoniale Strategie aufgeben muss.

Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Nationen müssen von der Anerkennung der Asymmetrie zwischen den Beteiligten ausgehen. Das heißt, den wirtschaftlich Schwächeren muss eine differenzierte Vorzugsbehandlung eingeräumt werden, die es ihnen erlaubt, aus den „Vorteilen“ des internationalen Handels Nutzen zu ziehen, um ihre Produktionsmöglichkeiten zu stärken und ihre Bevölkerung profitieren zu lassen. Andererseits müssen die Länder Europas die Bezahlung der historischen, ökologischen und sozialen Schuld in Angriff nehmen, die Europa seit der Eroberung Amerikas angehäuft hat. Die jahrhundertelange Ausbeutung und Plünderung unserer natürlichen Ressourcen, zu der seit dem vergangenen Jahrhundert das Eindringen der europäischen Konzerne gekommen ist, hat erhebliche ökologische und soziale Auswirkungen auf die Bevölkerung Zentralamerikas gehabt.

ÖB: Was, glaubst Du, können wir in Europa zum Widerstand gegen das Assoziierungsabkommen beitragen?

RM: Das Assoziierungsabkommen ist eine Gelegenheit, die Solidarität zwischen der Bevölkerung Zentralamerikas und Europas im Kampf gegen neoliberale Projekte zu stärken, aber auch gemeinsam Alternativen aufzubauen.

Das Assoziierungsabkommen stellt uns vor gemeinsame Herausforderungen. Eine davon ist die Verbreitung von Informationen zum Inhalt des Vertrages und zu seinen negativen Auswirkungen in den Gesellschaften Europas und Zentralamerikas, wobei die Nuancen und Besonderheiten herausgearbeitet werden müssen. Die konkreten Auswirkungen im täglichen Leben der Menschen sichtbar zu machen ist dabei ein entscheidendes Element. Aufklärung und Mobilisierung sind die Basis einer gemeinsamen Kampagne gegen das Assoziierungsabkommen auf beiden Kontinenten.

Trotz des Existierens bedeutender Unterschiede und Intensitäten bei den Auswirkungen, die die neoliberale Politik der Freihandelsverträge auf die Völker der Welt hat, gibt es auch gemeinsame Folgen. Deren Benennung ist entscheidend für die Entwicklung eines kritischen Bewusstseins der Bürger.

In diesem Sinne bietet es sich an, sowohl in Europa als auch in Zentralamerika die folgenden Effekte sichtbar zu machen: die wachsende Privatisierungswelle bei den öffentlichen Dienstleistungen und beim Verkauf von Staatsbetrieben, die negativen Auswirkungen des Klimawandels, der beschleunigt vorangetriebene Schutz des Geistigen Eigentums als Weg, sich die natürlichen Ressourcen anzueignen, die fortschreitende Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, die Strafverschärfungen gegenüber Migranten und der Verlust der Souveränität der Nationalstaaten.

Ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt der Kampagne gegen das Assoziierungsabkommen ist der Druck, den die Staatsbürger auf die Regierungen und nationale sowie europäische Abgeordnete ausüben können, damit das Assoziierungsabkommen nicht ratifiziert wird.

ÖB: Vielen Dank für das Interview.

Das Interview führte das Ökumenisches Büro für Frieden und Gerechtigkeit e.V. im September 2008.

Zusammen mit Raúl Moreno, der in der Red Sinti Techan aus El Salvador und in der Alianza Social Continental aktiv ist, wurde die Kampagne gegen das Assoziierungsabkommen EU-Zentralamerika „kolonisiert – koffeiniert – assoziiert oder: gegen die europäische Zubereitung Zentralamerikas“ initiiert. Im Augenblick wird die Kampagne mit der Arbeit anderer Gruppen, die sich ebenfalls mit dem Assoziierungsabkommen beschäftigen, vernetzt. Weitere Informationen unter www.oeku-buero.de oder elsal@oeku-buero.de

[1] RM: Das bestehende Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Mexiko zeigt, dass die entscheidende Komponente solch eines Abkommens der Freihandelsvertrag ist: die Kapitel, die sich mit Marktzugang, öffentlichem Beschaffungswesen, Investitionen, Handel mit Dienstleistungen und dem Geistigem Eigentum beschäftigen, sind aufs genaueste ausgeführt, ähnlich wie bei NAFTA und CAFTA-DR. Zu Menschenrechten, Sozial- und Umweltstandards hingegen findet man nur ermahnende Formulierungen, ohne Anwendungs- und Kontrollmechanismen.