Michael Ramminger vom Institut für Theologie und Politik in Münster koordiniert in Deutschland den Aufruf der Theologen in Zusammenarbeit mit Pax Christi – Kommission Weltwirtschaft, Ökologie und soziale Gerechtigkeit, dem Ökumenischen Netz Rhein-Mosel-Saar, Kairos Europa und dem INKOTA-Netzwerk e.V.
Sie koordinieren einen Aufruf von zahlreichen Theologen an deutsche Christinnen und Christen, sich am Protest gegen neoliberale Globalisierung zu beteiligen. Welche Rolle spielt bislang das Christentum in der globalisierungskritischen Bewegung?
Was heißt »das Christentum«? Christentum ist erstens Kirche, zweitens sind es die vielen Institutionen und NGOs und drittens natürlich Einzelpersonen. Also zunächst einmal: Die Kirchen spielen in der globalisierungskritischen Bewegung keine große Rolle. Zweitens gibt es eine ganze Reihe von entwicklungspolitischen und auf die Nord-Süd-Solidarität fokussierten NGOs und Netzwerken, die schon eine große Rolle in der globalisierungskritischen Bewegung gespielt haben. Drittens gibt es die Einzelpersonen, die nicht als Christen in der globalisierungskritischen Bewegung teilnehmen. Davon gibt es viel mehr, als man ahnt.
Weltweit gelten heute die sozialen Bewegungen Lateinamerikas als Vorbild und Hoffnungsträger. Bedeutet das auch einen Aufwind für die Befreiungstheologie, die aus christlichen Werten einen politischen Handlungsauftrag ableitet?
Im Moment noch nicht. Sie ist vor allem in Lateinamerika noch zu sehr geschwächt durch Johannes Paul II., der ja viele Befreiungstheologen aus ihren Positionen herausgedrängt hatte. Es läßt sich aber auch eine Neuorganisation feststellen. So hat es vor zwei Jahren vor dem Weltsozialforum in Porte Allegre ein Weltforum für Theologie und Befreiung gegeben, an dem 300 bis 400 ChristInnen und BefreiungstheologInnen aus der ganzen Welt teilgenommen haben. Da wird man sicherlich noch einiges zu erwarten haben.
Wie sieht für Sie die weitere Vorbereitung auf G8 in Heiligendamm aus?
Zunächst einmal haben wir ja am 10. und 11. November die erste internationale Aktionskonferenz in Rostock. Wir wollen das Bündnis weiter verbreitern. Wir als Institut für Theologie und Politik wollen natürlich versuchen, auch die Christen stärker einzubeziehen, aber es geht jetzt erst einmal darum, die verschiedenen Aktionsformen weiter zu besprechen, zu vernetzen und zu organisieren. Mir scheint es wichtig zu sein, daß man vor allem die Blockadeaktion stark macht und bis weit in die interessierten Gruppen hineinträgt.
Der Theologe Helmut Gollwitzer prägte den Ausspruch: »Sozialisten können Christen, Christen müssen Sozialisten sein.« Teilen Sie diese Auffassung?
Was heißt Sozialist sein, was heißt Christ sein? Wir haben es hier mit zwei wunderbaren Traditionen zu tun, die gleichzeitig eine fürchterliche Schuldgeschichte tragen. Wenn Sozialist sein heißt, dafür einzutreten, daß die Fülle der Güter auf dieser Welt gerecht an alle verteilt wird, und wenn es darum geht, demokratische Verhältnisse überall auf der Welt herzustellen, dann würde ich sagen, Christen müssen Sozialisten sein. Ich würde auch noch weitergehen und sagen: Wenn Sozialist sein heißt, das Privateigentum, vor allen Dingen an Land, an öffentlichen Gütern wie Wasser oder auch das Privateigentum an Produktionsmitteln, in Frage zu stellen und neu zu organisieren – dann würde ich aus einer christlichen Tradition heraus auch sagen, Christen müssen Sozialisten sein, ja.
Interview: Sebastian Wessels
(c) Junge Welt 25.10.2006