Wir lassen uns nicht zum Schweigen bringen
Abschlusserklärung des III. Internationalen Forums für Philosophie in Venezuela (06.-15.11. 2007)
Wir erleben zur Zeit wachsenden Widerstand gegen das neoliberale Modell auf allen Kontinenten, einen Widerstand, der unvermeidlicherweise
das kapitalistische System und die imperiale Macht in Frage stellt. Im Falle Lateinamerikas übersetzt sich diese Bewegung in wachsende
soziale Aufstände in verschiedenen Ländern. Es ist eine Bewegung, die sich wie in Venezuela und anderen Ländern immer offener dem
Imperialismus, den transnationalen Konzernen, seinen Ideologen, seinen Königen und Präsidenten und seinen Massenkommunikationsmitteln
entgegenstellt.
Der venezolanische Prozess, der kompromisslos voranschreitet, verschärft die Notwendigkeit, den Horizont zu definieren, auf den wir uns
zu bewegen, und der zunehmend als Sozialismus des 21. Jhdts. bezeichnet wird. Um über diese zukünftige Gesellschaft, ihre Form und ihren
Aufbau nachzudenken, haben wir uns auf diesem Forum für Philosophie getroffen: Intellektuelle und Aktivisten aus Afrika, Asien, Europa,
Lateinamerika und Nordamerika.
Wir haben uns in Venezuela und all seinen Bundesstaaten getroffen, weil hier die gesellschaftlichen Widersprüche - die internen als auch
die internationalen - am zugespitztesten sind. Genau den Präsidenten dieses Volkes wollte ein kolonialer und von Franco ernannter König
zum Schweigen zwingen und gemeinsam mit genau diesem Präsidenten sagen wir den Mächtigen dieser Welt: Wir lassen uns nicht zum Schweigen
bringen.
In unserer gemeinsamen Reflexion über Humanismus, Revolution und Sozialismus sind wir zu einigen Schlussfolgerungen gekommen, die uns,
so hoffen wir, als Ausgangspunkt dienen werden:
- Gegenüber einem kapitalistischen System, dass durch die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen gekennzeichnet ist, durch die
Ausplünderung der natürlichen Ressourcen, durch die Destrukturierung der indigenen Kulturen, die Zerstörung des Lebens und durch die
Entfremdung, gibt es keinen dritten Weg. Nur der Sozialismus ist die Aufhebung und die Überwindung des Kapitalismus.
- Der Sozialismus des 21. Jhrdts. muss die unbestreitbaren Errungenschaften des Sozialismus des 20. Jhrdts. zurückgewinnen und
wertschätzen, vor allem die Aufhebung der Ausbeutung und den für alle freien Zugang zu Bildung, Gesundheit und anderen öffentlichen
Gütern. Gleichzeitig aber müssen wir natürlich auch seine Widersprüche und Unzulänglichkeiten überwinden: wie z.B. die exzessive
Begeisterung für Entwicklung als ökonomischem Fortschritt, einem durch Bürokratie degenerierten Staat, die Verachtung der
Unterschiedlichkeit und die Naturvergessenheit.
- Wir setzen daher auf einen menschlichen Sozialismus, einen praktischen und nicht nur philantropischen, auf einen dekolonisierenden,
kosmozentrischen, einen multi- und plurikulturellen und gemeinschaftlichen Sozialismus; d.h. auf einen befreienden, partizipativen und
alle Gerechtigkeit voranbringenden Sozialismus. Und in Konsequenz verpflichten wir uns in jedem unserer Länder und wo auch immer wir
gerade sind, gegen die imperialen Kriege, die Interventions- und Putschandrohungen, gegen die generelle Folter, die Spionage, die
Manipulation der Information, die Kriminalisierung der sozialen Bewegungen, die Naturzerstörung und gegen alle Verletzung von
Menschenrechten zu kämpfen.
- Sozialer Wandel und die sozialen Bewegungen, die ihn vorantreiben, sind eng verbunden mit der Notwendigkeit von
Verfassungsdokumenten, die der juristische Ausdruck der Kämpfe der Völker sind. Dieses internationale Forum stellt fest, dass
Venezuela diese Tradition und ihre revolutionäre und sozialistische Möglichkeit aufnimmt. Genau deshalb ist die nächste
Verfassungsreform Ziel politischer Belagerung und Meinungsmache in den Medien. Dieses Forum prangert entschieden solche Manöver an
und weist die Blockade der Medien und die Falschinformationen zurück, deren Zeuge wir in allen Bundesländern Venezuelas geworden sind,
wie es auch in unseren Ländern ist.
- Wir verpflichten uns in dieser Linie kritischen Reflexion fortzufahren und die Befreiungs- und Widerstandsbewegungen in allen
Ländern der Welt weiter zu begleiten. Und bekräftigen: Wir lassen uns nicht zum Schweigen bringen.
Maracaibo/ Venezuela, November 2007