Totale Krise - es grünt so grün

"Es ist das kapitalistische System selbst, das die Systemfrage auf die Tagesordnung setzt", lautet der Schlusssatz des neuen Buches des promovierten Politologen Winfried Wolf, Sieben Krisen - ein Crash. Wolf, im attac-Beirat und Chefredakteur der neuen Zeitschrift "Lunapark 21" erweitert somit die reichliche Büchermenge über "die Krise." Wolfs Leistung ist nicht zuletzt die eines Kärrners.

Kärrnerarbeit bedeutet: viel Stoff, Zahlen, Daten, Statistiken, Tabellen und Quantitäten. Dieses statistische Zahlenwerk schafft die Grundlage für seine These der sieben Krisen: in der Realwirtschaft, in den Schlüsselindustrien IT und Auto, der Verteilung des Reichtums, der Finanzen, im Nord-Süd-Verhältnis, der Umwelt und schließlich in der Frage der Weltvorherrschaft.

Wolf fächert die ökonomische Krise auf, deren Kern den Kern der Ökonomie darstellt: was ist der (ökonomische) Wert, allenfalls begreifbar als "selbstprozessierender Widerspruch"? Und: wie anders denn als Klassenverhältnisse lassen sich die tödlichen Hierarchien innerhalb der Gesellschaften dieses Planeten begreifen? Sowohl die Wert- als auch die Klassenfrage implizieren etliche andere Krisenverhältnisse, die Wolf recht genau beschreibt. Dabei geht er historisch vor. Bereits 1857, 1873 und im viel zitierten 1929 habe es weltweite Wirtschaftskrisen gegeben, die mehrere Jahre anhielten, Massenelend mit sich brachten und erst sehr viel später den wirtschaftlichen Stand von vor der Krise zuließen. Kapitalismus bestehe aus Profitmaximierung und basiere damit zwangsläufig auf Überproduktion und Überkapazitäten. Das sei besonders gut zu sehen an den Schlüsselindustrien der Gegenwart, der IT- und der Auto-Branche. Die Preise können sinken, wie sie wollen, der Bedarf bleibt konstant, der Konsum erstirbt - und ein paar Kilometer weiter die Menschen aufgrund Hungers.

Es war zweifelsohne politischer Wille, der Lehmann Brothers in den USA in der Pleite beließ, es war zweifellos politischer Wille, der die Hypo Real Estate (BRD) vor dem Absturz rettete. Nord-Süd-Konflikt und Umweltkrise gehören nach Wolf ganz eng zusammen, beide hätten sich bis zur (Un-)Kenntlichkeit verschärft. Neu in dem Gebiet ist, dass auch die Rettungsmaßnahme "Biosprit" nicht recht funktionieren will. Es werden jetzt Tausende Quadratkilometer Regenwald für den angeblich ökologischen Sprit abgeholzt, um Biomais anzubauen. Vorher war es der Fleischbedarf von Mc Donalds und Konsorten. Alles wie gehabt. Die Hegemoniekrise beschließt den Reigen. "Chimerika" ist das neue Zauberwort, Amerika und China zusammen. Die Kriege, die die unbestrittene Militärmacht Nummer Eins führt, werden nicht mehr von Japan, sondern von China finanziert. China stellt das Geld bereit, das die USA gerne nehmen und das letztlich der amerikanische Privatinvestor und Konsument zurückzuzahlen hat.

Wolf setzt ganz eindeutig auf den "grünen reload", d. h. die Fortsetzung des bisherigen Wirtschaftens im ökologischen Rahmen (Energie, Wohnen, Transport). Er setzt, in seinen Worten, auf die drei Ks: Kinder, Kultur und Klima. Also auf intelligente Bildung, gemeinschaftsstiftende Kultur und eine bewusst erlebte und behandelte Umwelt. Ob dieses attac-Szenario ausreicht? Zum Schluss erwähnt Wolf Georg Fülberts Loblied auf die Aufklärung: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Wer das anstimmt, sollte die Horkheimer-Adorno- Weise ihrer Dialektik nicht verpasst haben. Zu dieser Veranstaltung braucht man noch nicht einmal Karten - da ist alles umsonst, und zwar für alle. Wäre das real, wäre die Systemfrage beantwortet.

Martin Block

Winfried Wolf: Sieben Krisen - ein Crash, Wien 2009,
253 Seiten, 17,90 EUR, Verlag Promedia,
ISBN 978-3-85371-299-3