Ein Aufruf wider die Anpassung der evangelischen Kirche an die Macht der Wirtschaft

Aufruf an Christinnen und Christen, Gemeinden und Kirchen, der Unternehmerdenkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland biblisch-theologisch und wirtschaftswissenschaftlich zu widersprechen

Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hat im Juli 2008 die Denkschrift "Unternehmerisches Handeln in evangelischer Perspektive" veröffentlicht. Die Unterzeichneten sind trotz im Einzelnen unterschiedlicher Herangehensweisen nach sorgfältiger Prüfung - dokumentiert in dem Buch "Frieden mit dem Kapital?" (siehe unten) - zu der Überzeugung gekommen, dass die EKD - nach vorbereitenden Schritten in früheren Äußerungen - mit dieser Denkschrift aus biblisch-theologischer, wirtschaftswissenschaftlicher und weltweit ökumenischer Perspektive offensichtlich einen Irrweg betreten hat:

  1. Sie beschönigt die sozioökonomische Realität in grotesker Weise und trennt sich damit von der Mehrheit der Erdbevölkerung und auch von den Verlierern und vor allem Verliererinnen in Deutschland, die zunehmend unter den ausschließenden, verarmenden und ökologisch zerstörerischen Folgen des herrschenden Systems leiden.
  2. Indem sie diese Realität "Soziale Marktwirtschaft" nennt, statt sie mit ihrem Namen, nämlich neoliberaler Kapitalismus, zu benennen, legitimiert sie diesen - in einer Zeit, in der sich die Mehrheit der Menschen und zunehmend auch Staaten vom Neoliberalismus abwenden. Sie erweckt den Eindruck, als seien zu beobachtende negative Probleme nur auf individuelles Fehlverhalten einzelner Akteure zurückzuführen, und stützt so das bestehende System.
  3. Sie distanziert sich von ihren eigenen bisherigen sozialethischen Grundeinsichten, dass das unternehmerische Handeln durch eine widergelagerte Gesellschaftspolitik sozial und ökologisch verträglich in die Gesellschaft eingebettet werden muss (vergleiche das Wirtschafts- und Sozialwort der Kirchen von 1997, Ziffer 143). Sie nimmt stattdessen im Einklang mit dem neoliberalen Mainstream hin, "die staatliche Regulierung auf das Notwendigste" (Ziffer 44) zu begrenzen.
  4. Die für diese Denkschrift und ihre Verbreitung Verantwortlichen gefährden die Einheit der EKD mit der weltweiten Gemeinschaft der Kirchen, die sich im Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK), dem Reformierten Weltbund (RWB) und im Lutherischen Weltbund (LWB) zusammengeschlossen haben. Denn diese haben sich in einem langen, biblisch begründeten Prozess klar auf die Seite der vom herrschenden System ausgeschlossenen und verarmten Weltbevölkerung und der in ihrer Lebensfähigkeit bedrohten Erde gestellt und haben dem neoliberalen Kapitalismus eine klare Absage erteilt.

Wir rufen alle Christinnen und Christen - besonders die Mitglieder von Synoden auf allen Ebenen - sowie die Gemeinden und Landeskirchen auf, die EKD-Verantwortlichen auf biblisch-theologischer Grundlage und mit klaren Argumenten aufzufordern, diese Denkschrift zu widerrufen, die Anpassung an die herrschenden Mächte in Wirtschaft und Politik aufzugeben, die eigenen sozial- und wirtschaftsethischen Traditionslinien ernst zu nehmen sowie unter Berücksichtigung der verheerenden Folgen der ökonomischen Globalisierung weiterzuentwickeln und in die weltweite ökumenische Gemeinschaft der Kirchen zurückzukehren.

Heidelberg, Reformationstag 31. Oktober 2008

Erstunterzeichnende:

Frank Crüsemann, Prof. Dr. theol
Ulrich Duchrow, Prof. Dr. theol.
Heino Falcke, D. Dr. theol.
Christian Felber, Mag. phil.
Kuno Füssel, Dr. theol.
Detlef Hensche, Dr. jur.
Siegfried Katterle, Prof. em. Dr. rer. pol.
Arne Manzeschke, PD Dr. theol.
Silke Niemeyer, Pfarrerin
Franz Segbers, Prof. Dr. theol.
Ton Veerkamp, Lic. theol.
Karl Georg Zinn, Prof. Dr. rer. pol

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